Geschichte der Thai-Massage

Simon de la Loubere (1690), französischer Diplomat am königlichen Hof in Siam: „Wenn jemand in Siam krank ist, beginnt er damit, seinen ganzen Körper von jemand, der darin geübt ist, bearbeiten zu lassen. Dieser macht sich über den Körper des Kranken her und trampelt ihn unter seinen Füßen…“

Die Traditionelle Thai-Massage (TTM) – in Thailand „Nuad Phaen Boran“, kurz „Nuad“ genannt, ist eines der ältesten überlieferten Heilsysteme, das sich bis in die heutige Zeit gehalten hat. Nuad Phaen Boran bedeutet soviel wie „uralte heilsame Berührung“.

Historisch gesehen gelangte das Wissen über die Traditionelle Thai Massage vor circa 2500 Jahren nach Südostasien. Als der Begründer gilt ein Arzt aus Nordindien, genauer gesagt aus dem damals mächtigsten und größten Staat Indiens, dem Königreich Magadha. Dort praktizierte ein großer Arzt: Jivaka Kumar Bhaccha – andere Schreibweise: Jivaka-Komarabhacca (circa 600 vor Christus), er wird noch heute in Thailand als Vater der Medizin verehrt und in einer Andacht (Thai: Wai Khru) zu Beginn der Thai-Massage erwähnt.

Als junger Mann studierte er in Taxila, deren Universität zu ihrer Zeit eine der Bekanntesten des Kontinents gewesen ist, er war Schüler des legendären Atreya gewesen, ein Arzt der damals weit über die Grenzen Indiens hinaus für seine Heilkünste bekannt war. So erhielt Jivaka Kumar Bhaccha tiefen Einblick in die alten Heilwissenschaften Indiens, wie das Ayurveda und das Yoga. Doktor Jivaka ging nach seinem Medizinstudium zunächst auf Wanderschaft und spezialisierte sich auf Chirurgie und Kinderheilkunde. Seine Heilerfolge machten ihn schon in frühen Jahren zu einem bekannten Arzt und schließlich rief sogar der König von Magadha, Bimbisara, ihn an seinen Hof und ernannte ihn zu seinem Leibarzt.

Dort traf er auch auf Siddharta Gautama, den Buddha, und seine Mönchsgemeinschaft. Die beiden verstanden sich gut und Jivaka lernte von Buddha und behandelte ihn und die Mönchsgemeinde medizinisch. Dr. Jivaka gründete das Sangha Quartier Ambavana, welches eine Art altindisches Gesundheitszentrum war. Er wurde auch im Pali-Kanon ( Tipitaka ), einer Sammlung von Dialogen und Lehrvorträgen des Buddhas aufgezeichnet in der Sprache Pali, erwähnt. Dies sind die alten Schriften des Buddhismus der südlichen Schule des Theravada (heute vorwiegend verbreitet in Sri Lanka, Burma, Kambodscha und Thailand).

Aus seinem reichen Erfahrungsschatz und tiefer Meditation entwickelte sich sein medizinisches System, mit dessen Hilfe er seine Patienten auf vier Weisen behandelte:

  • Massage
  • Naturmittelheilkunde
  • Ernährungsweise
  • Spirituelle Praktiken

Nach seinem Tod praktizierten seine Schüler weiter und im dritten Jahrhundert vor Christus schließlich kam die Thai-Massage dann tatsächlich auch in Thailand an. Der indische Kaiser Ashoka war ein mächtiger Herrscher mit weitreichendem Einfluss. Nachdem er sein Reich in jahrelangen Kriegen vergrößert hatte – es umfasste ¾ des indischen Subkontinents – und auf dem Gipfel seiner Macht stand, suchte er nach neuen Aufgaben im Leben. Er wurde Anhänger der friedfertigen buddhistischen Lehren und entsandte buddhistische Missionare in alle Himmelsrichtungen.

Was Kaiser Konstantin für das Christentum war, war Kaiser Ashoka für den Buddhismus. Die Missionare trugen vor allem spirituelles und medizinisches Wissen weiter und ein Großteil des medizinischen Wissens ging auf die Lehren Jivaka Kumar Bhaccha’s zurück. In der frühesten buddhistischen Epoche Thailands waren es vor allem Wandermönche, die sich von allen Besitztümern losgesagt hatten und in den Wäldern und Bergen lebten und meditierten.

Etwa im ersten Jahrhundert nach Christus dann wurden mehr und mehr buddhistische Klöster (Wat’s) gebaut, in denen die Mönche die Bevölkerung medizinisch behandelten – mit Massagen, Heilkräutern und Gebeten. Auch massierten die Mönche sich gegenseitig, um ihre Meditationspraktiken zu vertiefen. Jedenfalls damals – rund 2000 Jahre auf der Achse der Zeit zurück, gab es immer noch viele buddhistische Wandermönche in Thailand die durchs Land zogen und so “sickerte” die Thai-Massage Stück für Stück auch langsam in die ländliche Bevölkerung durch. So wurde die Massage aus den Tempeln in den thailändischen Alltag geholt.

Es entwickelten sich 2 Stile, die sich wechselseitig beeinflussten, der „königliche“, der in den Klöstern praktiziert und auch schriftlich fixiert wurde, und der „schamanische“ Stil, der durch mündliche Tradition innerhalb der Familien weitergegeben wurde. Heute gibt es im Wesentlichen zwei Arten der Thai-Medizin (und -Massage). Der gelehrte Stil entstand am königlichen Hof und integriert eine Vielzahl von kulturellen Einflüssen. Die thailändische Kultur ist imstande fremde Elemente aus den verschiedensten Teilen der Welt nahtlos zu assimilieren. Medizinisches Wissen aus Indien, China, islamischen Traditionen und dem Westen floss hier mit ein. Die größte Übereinstimmung des theoretischen Überbau’s der thailändischen Medizin ist in der ayurvedischen Medizin zu finden, und in einigen Fällen stimmen Sen (Energielinien der Thai-Massage) und Prana-Nadis ( Energielinien des Ayurveda – Indien ) und Akupressurpunkte der Thai-Massage mit den ayurvedischen Marmas ( Energiepunkte ) überein. Im 17. Jahrhundert werden medizinische Texte erwähnt, die auf Palmblättern in Pali-Sprache und Khmer-Schrift verfasst waren. Diese alten Texte scheinen einen hohen Stellenwert gehabt zu haben und wurden ähnlich verehrt wie die buddhistischen Schriften.

Bei der Zerstörung der alten Königsstadt Ayutthaya im Jahre 1767 durch burmesische Eroberer wurden die alten Texte weitgehend zerstört, so dass sie heute nicht mehr verfügbar sind. König Rama I (1.König der Chakri-Dynastie, 1782-1809), der Begründer der heutigen Thai-Dynastie, ließ das größte und mittlerweile älteste Kloster Bangkoks, Wat Phra Chetuphon ( Wat Po ) gegen Ende des 17.Jahrhunderts zum führenden Ausbildungszentrum für traditionelle thailändische Medizin ausbauen. Rama I etablierte auch Bangkok als Hauptstadt Siams (Thailands) – bis dahin war Ayutthaya die Königsstadt. Erhaltene Bruchstücke aus den Überresten der in Ayutthaya fast vollständig verbrannten Pali-Schriften dienten König Rama III (3. König der Chakri-Dynastie, 1825-1851) im Jahre 1832 als Grundlage für die berühmten Epigraphien des Phra Chetuphon Tempels (Wat Po) in Bangkok. Die noch verfügbaren Texte waren gesammelt und verglichen und in die Wände des Tempels eingraviert worden. Somit wurden die Grundlagen der Thai-Massage systematisiert und auf 60 Steintafeln graviert.

Dort kann man die 60 Wandzeichnungen bewundern, jeweils 30 für die Vorderseite des menschlichen Körpers und 30 für die Rückseite. Besonderer Wert wurde bei diesen Zeichnungen auf die Darstellung der sogenannten Sen Linien ( Sen Sib ) gelegt, sowie deren Energiepunkte. Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die im Wat Po gesammelten Texte in die moderne Thaisprache übersetzt. Das Kloster liegt im alten Zentrum von Bangkok, direkt dem Königspalast der Herrscher von Siam gegenüber. Heute ist der Wat Po Tempel – Temple of the Reclining Buddha - auch verbunden mit der renommiertesten Massageschule Thailands, Thai Traditional Medical and Massage School. Diese wurde 1955 eröffnet unter dem Patronat des Königs und der Kontrolle des Ministeriums für Bildung von Thailand. Es wurden 4 Studienrichtungen der thailändischen Medizin angeboten: Apotheker (Pharmazie), Medikamente, Geburtshilfe (Hebammen-Ausbildung) und Thai Massage. Aus der Zeit um 1820 datierende Statuen indischer “Rishis” im Wat Po zeigen deutlich, welchen hohen Stellenwert die yogische Tradition im gelehrten Stil einnahm, und 1100 ayurvedische Rezepte, die in die Manuskripte des Wat Po aufgenommen wurden und die Vereinnahmung ayurvedischer Diagnosetechniken bestätigen dies nur.

Die Unterschiede sind jedoch in der praktischen Anwendung so mannigfaltig, dass die Übereinstimmung im theoretischen Überbau von nur geringer praktischer Bedeutung ist. Gleiches gilt für jenen, der sich intensiver mit den ayurvedischen und thailändischen Lehren auseinandersetzt. Jedoch praktizieren heute viele Thai-Masseure (indisches) Yoga und raten oft auch ihren Patienten dazu – schließlich wird Thai-Massage manchmal auch scherzhaft als “Yoga für Faule” bezeichnet, denn der Massierte wird in verschiedene Yogastellungen gebracht, ohne eigene Anstrengung. Während also die alt-indischen Einflüsse in erster Linie durch Mönche nach Thailand gelangten, brachten chinesische Einwanderer Elemente der traditionellen chinesischen Medizin – darunter auch Massagetechniken des Tuina – mit. Aus den armen Regionen des chinesischen Großreichs wanderten schon seit langem Chinesen nach Thailand ein. Auch werden die meisten großen Apotheken für traditionelle thailändische Medizin heute von Thai-Chinesen geführt und das Wissen um die Zubereitung und Zusammenstellung der einzelnen Mittel wird als wertvoller Familienschatz gehütet. Der schamanische Stil ist der in Thailand mit großer Wahrscheinlichkeit ältere, fast vollkommen auf einem spirituellen Glaubenssystem aufbauend, das vor der Verbreitung des Buddhismus in Thailand dominant war. Aufgrund des völligen Verzichts auf formalisierte Wissensweitergabe hat jede Provinz auch eigene Vorgehensweisen und Rezepte zur Behandlung verschiedener Symptome. Unterweisungen finden seit jeher ausschließlich in mündlicher Form vom Lehrer zum Schüler statt. Zum größten Teil sind es Männer, die diese Funktion in der Dorf-Gemeinschaft einnehmen und denen häufig magische Fähigkeiten nachgesagt werden. Im Norden Thailands finden sich jedoch oft auch Frauen, die über einen großen medizinischen Wissensschatz verfügen und auch Massieren (ein Erbe der Hebammen-Tradition). Einzig und allein medizinische Rezepturen werden auch gelegentlich schriftlich weitergegeben, allerdings in einer für Außenstehenden unverständlichen, kodierten Form und auf die Bewahrung und Geheimhaltung des Wissens wird größter Wert gelegt. Allerdings ist dieser Schamanismus in Thailand quasi “vom Aussterben bedroht”.

Das liegt zum einen daran, dass oft Mönche in Thailand eine ähnliche Funktion wie Schamanen übernehmen – das Durchführen magischer Riten, das Segnen von Amuletten und Kräuterbehandlungen. Die Wiederentdeckung Mittlerweile beginnt man sich in Thailand wieder verstärkt, sich für die eigene Heilkunst zu interessieren. Das war nicht immer so. Als vor rund 100 Jahren König Chulalongkorn Thailands große Modernisierung vollendete, galt westliche Wissenschaft als kostbares Gut. Mitte des letzten Jahrhunderts galt – erst recht in den Städten – traditionelle Medizin nicht viel. Und dann, etwa seit den siebziger Jahren, kamen Jahr für Jahr mehr Amerikaner und Europäer nach Thailand und wollten mehr über das traditionelle Heilwissen der Thais lernen. Natürlich erstarkte daraufhin auch in Thailand das Bewusstsein für die alte Heilkunst. Auch die Regierung und die Königsfamilie haben ihren Teil zur Wiederbelebung der Thai-Massage beigetragen. Besonders das Gesundheitsministerium hat viele Initiativen ins Leben gerufen und in Zusammenarbeit mit Universitäten und Heilkundigen großangelegte Forschungsprojekte vorangetrieben. In vielen Kliniken arbeiten moderne Mediziner und traditionelle Heiler Hand in Hand zusammen.

In Thailand gibt es ein großen Angebot an qualifizierten Arbeitskräften für wissenschaftliche Unternehmungen und gerade der Wellness- und Medizin-Tourismus, auf den Thailand sich spezialisiert hat, ist eine treibende Kraft hinter so manch vielversprechendem Projekt. Die Thai-Massage ist, mit ihrem breiten theoretischen Hintergrund, eine komplexe Wissenschaft und wird in dieser Form an den Universitäten als Teil einer vier Jahre dauernden Ausbildung gelehrt. Gleichzeitig findet jedoch auch eine ausschließlich mündliche Überlieferung von Lehrer zu Schüler in weiten Teilen des Landes statt, so dass auch ohne dieses Studium mit großem Können praktizierende Therapeuten aus allen Bevölkerungsschichten Thai-Massagetechniken praktizieren.

Die traditionelle Thai-Massage ist auch in ihrer heutigen Praxis dem Buddhismus verbunden. Sie wird mit Metta (im südlichen Buddhismus gebräuchlicher Begriff für liebende Güte) angewandt. Die Meister sind in der Regel tief religiöse Menschen, die die Massage im Zustand der Achtsamkeit, des Gleichmuts, des Mitgefühls und der anteilnehmenden Freude ausführen. Auch wenn im westlichen Ausland „Wellness“ oft in Luxushotels angeboten wird, kann auch der einen weniger extravaganten Lebensstil führende heutzutage die heilsame Wirkung der Thai-Massage am eigenen Leib erfahren. Bei qualifiziert ausgeführten Massagen wird nur die dem Menschen innewohnende, natürliche Kraft aktiviert und eingesetzt, um zum Zustand der Harmonie zurückzufinden.

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